Leben mit MS: Wie alles anfing

Geschätzte Leserinnen und Leser, ich habe das Privileg, hier mit Ihnen meine Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken zum Thema „Multiple Sklerose“ aus meiner Sicht als Patientin teilen zu dürfen. In meinem ersten Beitrag erlaube ich mir, Sie zu duzen. Die Geschehnisse und Emotionen, von denen ich zunächst berichte, sind zwar individuell, aber ich bin überzeugt davon, dass Sie sich oder andere in manchen Punkten wiederfinden werden.
Saskia, MS-Patientin

Saskia, MS-Patientin

Wie alles anfing…

Ein leises Kribbeln. Kaum merkbar. Aber es ist da. Und dann wird es lauter. Auf einmal spürst du, dass es dableiben wird.

Du weißt nicht, was es ist. Dunkle Ahnungen und düstere Gedanken regieren in schlaflosen Nächten. Während des Tages sieht dir niemand dieses Unbestimmte an.

Die Ungewissheit nagt an dir. Du willst endlich Klarheit.

Also suchst du Ärzte auf. Wissen tun sie auch nichts. Du bekommst eine Überweisung für ein MRT. Du suchst dir im Internet ein Zentrum aus, das unweit von deinem Wohnort liegt. Du rufst an. Du bekommst einen Termin in zwei Monaten.

Eine elend lange Zeit.

In diesen Tagen, Wochen und Monaten wechseln sich Sorge und Unbekümmertheit ab. Mal wirkt das Kribbeln stärker, mal ist es kaum vorhanden. Irgendwann gewöhnst du dich daran und nimmst es als Teil deines Körpers an. Irgendwann ist das Kribbeln ruhig. Kurz vor dem vereinbarten MRT-Termin ist es sehr still.

Du überlegst dir, ob du dich dieser Untersuchung überhaupt unterziehen möchtest. Man kennt die Röhre aus dem Fernsehen. Und meistens wird ein Gehirntumor diagnostiziert. Genau wie im echten Leben, bei deiner Mutter. Du willst das nicht. Du willst weder einen Gehirntumor noch in diesem hässlichen Ding liegen. Außerdem geht es dir doch gut! Es war doch nur ein Kribbeln, das jetzt weg ist! Vermutlich ein Vitamin D-Mangel. Die Dunkelheit und die Kälte haben dir schon immer zu schaffen gemacht. Jetzt ist es Mai, die Sonne scheint, es geht dir gut. Warum also dieses Prozedere auf sich nehmen?

Nun gut. Der Termin steht doch schon seit zwei Monaten. Danach bekommst du bestimmt hübsche Bilder und dann hast du Gewissheit. Doch kein Gehirntumor. Du musst nicht operiert werden. Aber wenn es doch einer ist, dann ist er vielleicht noch klein und die Operation nicht so gefährlich wie bei deiner Mutter.

Die Röhre

Du entscheidest dich für das Prozedere. Dein Freund erklärt sich bereit, dich zu begleiten. Du wirst aufgerufen und in einen Umkleideraum geführt. Dein Partner muss leider draußen warten. Das beunruhigt dich, aber jetzt gibt es keine Umkehrmöglichkeit. Die Daten sind bekannt gegeben, du hast dich angemeldet und stehst schon leicht bekleidet in der Kabine. Irgendwann wirst du geholt und du sollst dich hinlegen und entspannen. Man möchte dir eine Nadel in die Vene stecken, aber du wehrst dich. Du hasst Nadeln. Also fragst du, ob es unbedingt sein muss. Erfreulicherweise lassen sie dich sogar in Ruhe. Du bekommst Kopfhörer und ein seltsames Ding um deinen Kopf gelegt. Für deine Beine bekommst du einen kleinen Polster, aber das Hohlkreuz schimpft von Beginn an und schmerzt.
Dann fährt die Liege hinein und das Rattern beginnt. Eine gefühlte Unendlichkeit verbringst du in dieser Röhre, bis die Untersuchung fertig ist und man dich wieder ans Licht holt. Doch die Sicherheit trügt. Du entkommst nun doch nicht der Nadel und sie verpassen dir ein sogenanntes Kontrastmittel. Dir ist die Bedeutung nicht klar, aber eine gewisse Beunruhigung macht sich in dir schon breit. In erster Linie verspürst du jedoch Ärger, dass du nun doch eine Nadel in deiner Vene hast. Es schmerzt zwar nicht, aber angenehm ist es auch nicht.

Danach wiederholt sich das ganze Prozedere von vorne für eine weitere gefühlte Ewigkeit.
Irgendwann holen sie dich aber dann wirklich raus, befreien dich von dem Gesichtsfeld, von der Nadel und du kannst wieder in den Umkleideraum gehen.

Als alles endlich vorbei ist und du in den Warteraum zu deinem Freund gehen darfst, drücken sie dir bald einen A2 großen Umschlag in die Hand mit Bildern. Der Befund würde per Mail in kurzer Zeit kommen, wird dir versichert.

So verlässt du das Diagnosezentrum mit deinem Freund. Du fühlst dich komisch, aber du hast es überstanden.

Dein Freund sieht sich später mit dir diese riesigen und zahlreichen Bilder deines Gehirns an. Ihr seid euch sicher. Es ist alles in Ordnung.

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