Leben und MS Leben mit MS

Saskia, MS-Patientin

Leben und MS – Leben mit MS

Seit ich vor nun mittlerweile sieben Jahren den Befund meines MRTs von einer Neurologin erklärt bekommen hatte, änderte sich mein Leben auf vielfältige Art. Multiple Sklerose ist bekannt als die Krankheit mit den hundert oder gar tausend Gesichtern und eben so verschieden ist wohl auch die Reaktion der jeweils Betroffenen und der individuelle Verlauf der Krankheit. Mein Umgang damit war, wie ich es nennen mag, „offensiv“. Einerseits wollte und konnte ich in meinem Arbeitsumfeld nicht zu viel darüber preisgeben, andererseits hatte ich große Lust, den nächsten Berg zu besteigen und es laut in die ganze Welt hinauszubrüllen. Durch kleinere und größere Projekte habe ich das Privileg, meine Geschichte einem Publikum erzählen und damit auf besondere Art, meine Erlebnisse und Empfindungen reflektieren zu dürfen.

Multiple Sklerosis als Teil meines Lebens

Nun, sieben Jahre später, ist der Alltag eingekehrt und wie auch in zwischenmenschlichen Beziehungen irgendwann eine gewisse Routine entsteht, stellte sich mittlerweile auch eine gewisse Akzeptanz für meine Krankheit ein. Ich versuche möglichst, mich nicht von meinen Ängsten kontrollieren zu lassen, sondern die Multiple Sklerose als Teil meines Lebens zu akzeptieren. Dank der Forschungen in der Medizin weiß man inzwischen schon sehr viel über MS und darum habe ich eine Zuversicht entwickelt, dass man eines Tages die Entstehung erklären kann und ein Heilmittel erforschen wird. Ob ich das wohl noch miterleben darf, ist zwar eine andere Frage, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Schübe jedenfalls gut behandelt werden und es sehr viele Medikamente gibt, die erfolgreich den nächsten Schub hinauszögern können.

Dieser Umstand schenkt einerseits Hoffnung, aber noch wichtiger: Zeit! Denn genau darum geht es: Zeit!

Jeder Tag ohne Schub ist ein gewonnener Tag!

Aber tauchen dann doch je Symptome auf, können diese durch Cortison verschwinden. Ich durfte dieses Wunder selbst erleben: Einige Tage konnte ich mein rechtes Bein nur schwer heben, bis ich mich dazu entschlossen habe, zu meinem Neurologen zu fahren, der mich ins Krankenhaus schickte. Nach etwa fünf Tagen Cortisoninfusionen verschwanden meine Beschwerden so schnell wie sie gekommen waren. Spitäler sind keine frohen Orte. Natürlich habe ich mir gewünscht, ich hätte mir all diese Fahrten sparen können. Ich hätte mir die unzähligen Nadelstiche und Fehlstiche erspart. Iich müsste mich überhaupt nicht mit all dem beschäftigen. Wir alle wissen, es kann vorerst nur bei dem Wunsch bleiben.

„Die einzige Möglichkeit mit allem fertig zu werden, ist für mich, sich der Krankheit möglichst mutig entgegenzustellen und sich den notwendigen Untersuchungen und Behandlungen zu unterziehen.“

Die MS ist eben ein Teil von mir. Sie ist immer da –  mal deutlich spürbar, mal wieder scheinbar fast gänzlich verschollen. Außenstehende merken jedenfalls nichts von meinen Sorgen, selbst meine Schübe bleiben meist im Dunkeln und das ist auch gut so. Nur meinen engsten Vertrauten verrate ich, wenn ich (weitere) Veränderungen spüre. Ein Schub überrascht mich nach diesen Jahren nicht mehr so wie einst.

„Ich gebe der Krankheit möglichst wenig Macht über meine Gedanken, über meine Entscheidungen, insgesamt über mein Leben.“

Ich bin genervt, wenn die MS versucht, diese Kontrolle zurückgewinnen. Wenn sie versucht, indem sie bereits betroffene oder neue Bereiche des Körpers attackiert, sich bemerkbar zu machen, reagiere ich möglichst gelassen und bin einfach „entnervt“, im wahrsten Sinne. Ich weiß eben, was ich im Falle eines Schubes machen muss, ich weiß, wie ich die MS unter Beobachtung stellen kann, nämlich durch regelmäßige MRTs, ich habe ein gutes Verhältnis zu meinem behandelnden Arzt, ich weiß, welches Medikament mir Zeit verschafft. Dem gegenüber stehen die tausenden Dinge, die ich nicht weiß und nicht kontrollieren kann: Wann der nächste Schub kommt, welchen Bereich des Körpers die Krankheit diesmal attackiert, wie das nächste MRT aussehen mag und vor allem, ob und wann meine Einschränkungen auch von Außenstehenden wahrgenommen werden können.

Aber Ungewissheiten finden sich in jedem Leben

Kein Mensch vermag es, die Zukunft vorauszusehen. Durch meine Diagnose musste ich auf recht brutale Art lernen, noch viel mehr Unsicherheiten zu ertragen. Ich musste für mich überlegen, welche Entscheidungen ich treffe, wie ich mich vorbereiten möchte, auf ein Leben mit Einschränkungen. Und ich für mich selbst habe entschieden, meiner Krankheit möglichst wenig Platz in meinem Leben einzuräumen. Ihr möglichst keine Kontrolle über mich und meine Gedanken zu gewähren. Möglicherweise werde ich eines Tages verlieren und diese Entscheidung bereuen, das gehört zu den vielen Ungewissheiten meines Lebens. Wie Sie, verehrte Leserschaft, vielleicht aus all dem schon herausgelesen haben, geht es in Bezug auf diese seltsame Krankheit sehr viel um Kontrolle und Kontrollverlust. Ich habe für mich entschieden, die Kontrolle über meinen Körper zurückzugewinnen, indem ich meine Einstellung zu MS in eben diese Richtung lenken möchte.

„Ich kontrolliere den Umgang mit der Krankheit, nicht die Krankheit kontrolliert mich. Ich kontrolliere den Schubverlauf durch Infusionen, ich kontrolliere die Entwicklung meiner MS durch regelmäßige Untersuchungen.“

So gelange ich weg von all den Sorgen und Ängsten, die die Diagnose naturgemäß mit sich brachte, zurück zur Selbstbestimmung und eröffne mir einen optimistischen Blick in eine lebensfrohe Zukunft.